Der erste „Summer of Pioneers“ hat große Wellen geschlagen. „Wir hatten super viel Presse hier, die sich für das Thema interessiert hat“, erzählt Frederik Fischer. Er ist Initiator des Projekts, bei dem Großstädter sich für ein paar Monate aufs Land begeben. Dort bekommen sie neben möblierten Wohnungen auch die Möglichkeit, in einem Coworking-Space zu arbeiten. Im Gegenzug beteiligen sich die Pioniere an ehrenamtlichen Projekten und setzen diese in die Tat um. Der erste Summer of Pioneers fand in Wittenberge statt, der zweite läuft gerade ebenfalls dort, weitere Orte sind in Planung. 

20 Pioniere auf dem Weg aufs Land

Ursprünglich sollte in Wittenberge ein KoDorf gebaut werden, allerdings fehlten die passenden Flächen. „Ich fand Wittenberge aber so toll, dass ich die Idee des Summer of Pioneers kurzfristig entwickelt und ins Spiel gebracht habe“, schildert Frederik die Anfänge des Projekts. „Die Umsetzung ging dann auch viel schneller als gedacht. Im Februar 2019 war ich zum ersten Mal in Wittenberge und bis Juli haben wir gemeinsam mit der Stadt, der Wohnungsbaugesellschaft und der CoworkLand Genossenschaft das Konzept finalisiert, alles mit der Stadt abgeklärt, Fördermittel beantragt, die Wohnungen renoviert, einen Coworking-Space gebaut und am ersten Juli konnten die Pioniere dann schon einziehen.“ Er habe selbst nicht mit einer so schnellen Umsetzung gerechnet, erzählt er. „Aber in Wittenberge ging das toll, weil alle mitgearbeitet haben. Die Wohnungsbaugesellschaft ist in städtischer Hand und hat die Renovierungen übernommen und die Landesregierung kannte uns durch das KoDorf und hat uns auch unterstützt.“

20 Leute machten sich dann am 1. Juli 2019 auf den Weg nach Wittenberge, um die erste Gruppe „Pioniere“ zu werden. Zuvor hatte es eine Ausschreibung gegeben und Interessierte konnten sich mit einem Projekt bewerben, das in Wittenberge ehrenamtlich umgesetzt werden sollte. Über 60 Personen hatten sich beworben, für ein Drittel ging es im Sommer in die Kleinstadt, die ziemlich genau zwischen Berlin und Hamburg in Brandenburg liegt.

Ehrenamtliche Projekte fanden großen Anklang

Eines der umgesetzten Projekte, das von mehreren der Pioniere ins Leben gerufen wurde, ist der Stadtsalon Safari. „Das Safari ist sehr beispielhaft für Projekte im ländlichen Raum“, erklärt Frederik. „Dafür wurde kein neues Gebäude gebaut, sondern ein altes wieder genutzt. Es wurde ein Leerstand reaktiviert. Das ist für eine Stadt sehr wichtig, denn leere Geschäfte erinnern immer daran, dass es der Stadt nicht gutgeht. Gleichzeitig wird der Stadt ein Ort gegeben, wo man sich treffen und austauschen kann.“ Im Safari werden die Einwohner durch niedrigschwellige Angebote wie Erzähl-Cafés, Kleidertausch-Aktionen und Reparier-Cafés abgeholt und eingebunden.
„Christian Soult, einer der Pioniere, hat die Klimashow Volle Halle nach Wittenberge geholt“, führt Frederik weiter aus. „Die haben in einer Schule gespielt, die bis zum letzten Platz voll war. Danach gab es tolle Diskussionen zwischen den Schülern, aber auch älteren Leuten, die teilweise auch aus dem Umland kamen.“
Aber auch kleinere Aktionen wie Nachbarschaftsgrillen fanden großen Anklang.

Ein Coworking-Space für Wittenberge

Zum Arbeiten und Aufhalten wurde den Pionieren ein Coworking-Space zur Verfügung gestellt. Dieser ist (auch aktuell) aber auch für andere Leute offen, die dort arbeiten möchten. „Der Coworking-Space wurde tatsächlich nicht so sehr von den Einwohnern genutzt wie wir uns erhofft hatten“, erzählt der Initiator des Summer of Pioneers. Trotzdem will die Stadt Wittenberge an Coworking festhalten und das Angebot ausbauen. „Es ist eine Frage der Zeit, bis der Coworking-Space mehr genutzt wird. Je mehr junge Leute zurück aufs Land ziehen, desto mehr Nutzer gibt es. Außerdem ist es ein bisschen das Henne-Ei-Problem. Ziehen junge Leute zu mir, wenn ich keinen Coworking-Space habe oder ziehen sie erst dann zu mir, wenn ich Coworking schon als Angebot habe?“ Die Stadt geht davon aus, dass durch den Coworking-Space jetzt mehr junge Leute nach Wittenberge ziehen. Außerdem wollen sie Unternehmen noch mehr einbinden und Angebote für diese schaffen.

Der Summer of Pioneers geht in weitere Runden

Seit Januar läuft die zweite Runde des Summer of Pioneers in Wittenberge. Die Hälfte der Gruppe sind Pioniere aus der ersten Runde, die nun auch dauerhaft nach Wittenberge ziehen wollen. Die andere Hälfte der Leute ist zurück in die Stadt gegangen. „Es sind viel mehr geblieben als wir erwartet haben. Die Stadt Wittenberge hätte sich schon sehr gefreut, wenn nur zwei Personen geblieben wären. Aber dass es gleich so viele werden, hat keiner gedacht“, freut sich der Initiator. „Bei der aktuellen Lage mit Corona sind die Teilnehmer sogar noch dankbarer, dass sie im Moment nicht in der Stadt wohnen. Schade ist nur, dass wir alle geplanten Veranstaltungen absagen mussten und die Projekte nicht wie geplant umgesetzt werden können.“
Ebenfalls dieses Jahr starten sollte der Summer of Pioneers in Homberg. Der Start ist wegen Corona nun auf nächstes Jahr verschoben worden. „Altena in Nordrhein-Westfahlen ist auch schon bestätigt“, erzählt Frederik von den nächsten Plänen. „Außerdem sind wir gerade dabei, noch einen dritten Ort in Mecklenburg-Vorpommern abzuschließen. Sehr wahrscheinlich wird es also nächstes Jahr drei Summer of Pioneers geben.“

Innovation in den ländlichen Raum bringen

Frederik Fischer ist nicht nur Initiator des Summer of Pioneers, sondern gründet aktuell auch das erste KoDorf. Er beschäftigt sich also durchgehend mit dem Thema Leben und Arbeiten im ländlichen Raum. „Wenn man sich anschaut, mit wie wenig Mitteln am Ende des Tages in Wittenberge eine Menge passiert ist, sieht man, dass das total sinnvoll ist. Besonders, wenn sonst immer nur negativ berichtet wird, weil zum Beispiel so viele Leute abwandern. Und die Pioniere haben der Stadt enorm geholfen und sie nach vorne gebracht.“ Frederik ist der Überzeugung, dass sich nach Corona eine riesige Chance für Städte gibt, die das Thema Coworking und Neues Arbeiten angehen wollen. „Die Städte im ländlichen Raum, die den Menschen vermitteln, dass sie willkommen sind mit Neuer Arbeit, die dürfen sich jetzt wirklich darüber freuen, dass das Angebot noch viel mehr wahrgenommen wird. Wir bekommen auch noch viel mehr Anfragen als vor Corona.“

Doch was ist im ländlichen Raum so anders als in der Stadt? „Ich finde es total beeindruckend, zu sehen, wie schnell dort Veränderung möglich ist“, erklärt Frederik. „Es klingt pathetisch, aber ich finde es toll, die Welt ein bisschen lebenswerter zu machen. In der Stadt oder in der rein digitalen Branche hatte ich das Gefühl, da geht nicht mehr viel. Aber auf dem Land kann man noch ganz viel Innovation einbringen.“ Wichtig sei es aber, nicht nur Leute aus der Stadt zurück aufs Land zu holen, sondern auch die Menschen vor Ort nicht zu vergessen. Die Innovation aufs Land bringen: Das ist das langfristige Ziel bei Projekten wie dem Summer of Pioneers oder dem KoDorf. „Diese Sehnsucht, den Menschen Alternativen anzubieten zu diesem doch sehr stressigen und hektischen Großstadtleben, das ist kein Trend, der vorübergeht. Das ist etwas, was es schon ganz lange gibt. Und ich glaube, die Politik merkt jetzt auch, dass sie da etwas unterstützen muss. Ich hoffe und glaube, dass wir es schaffen, auch neue Lebensräume auf dem Land zu schaffen – vermutlich kriegen wir das nicht ganz alleine hin, aber wenn sich uns Leute anschließen, dann schon.“

In Wittenberge ist auch bereits das nächste Projekt geplant: ein KoHaus. Dabei soll in einem alten Gebäude eine Mischung aus Wohn- und Coworking-Space entstehen. „Da sind wir aber noch ganz am Anfang, das ist alles noch nicht ganz sicher. Aber daran arbeiten wir aktuell, das ist unser nächstes Projekt“, erzählt Frederik Fischer. Die Stadt Wittenberge ist also längst noch nicht fertig mit den Themen Innovation und Coworking.

Fotos: Summer of Pioneers
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