Eine Beschreibung, mit der Coworking-Spaces sicherlich oft assoziiert werden: neu und modern. Das Konzept Coworking spiegelt für viele genau das wider – immerhin ist Coworking ja auch ein Konzept von New Work. Doch Coworking-Spaces müssen nicht immer in modernsten Bürogebäuden untergebracht sein. Auch ältere Gebäude eignen sich, um darin einen Coworking-Space entstehen zu lassen.
Immer wieder überraschend
„Moderne Gebäude sind zwar stylisch und schick, aber nicht so persönlich. Und genau dieses Persönliche, manchmal auch Unperfekte, ist die Grundlage um sich wohlzufühlen, heimisch zu sein und sich kreativ zu entfalten“, findet Marco Bartsch. Er ist Leiter des Coworking-Space Oranienwerk, das nördlich von Berlin am Orianienburger Kanal liegt. Der Space befindet sich in einer ehemaligen Stahlfederfabrik, die 1916 errichtet wurde. Beim Umbau des Gebäudes hatten die Eigentümer das Glück, dass die Grundsubstanz der Gebäudehülle trotz einiger Jahre Leerstand noch gut erhalten war. „Sehr problematisch waren jedoch die vorgefundenen Versorgungsmedien wie Wasser, Abwasser, Strom und Heizung“, erklärt Marco. Da für das gesamte Gebäudeensemble auch keine Nutzungsgenehmigung bestand, entschlossen sich die Gründer für eine gesamtheitliche Sanierung. Dabei wollten sie jedoch den besonderen Charme der alten Industriearchitektur schützen, gleichzeitig aber für eine energetische Aufwertung sorgen und alle bauamtlich relevanten Sicherheitsstandards erfüllen. „Der Umbau eines solch alten Gebäudes erfordert eine große Flexibilität in der Arbeitsweise und Entwicklung“, findet Marco. „Bei einem über 100 Jahre alten Gebäude gibt es immer wieder Überraschungen. Man öffnet eine Wand und wird mit Dingen überrascht, die man nicht erwartet hätte.“ Nach insgesamt zwei Jahren konnte das Oranienwerk eröffnet werden.
Gebäude mit Charme
Keine Arbeit mit dem Umbau hatte Lone Aggersbjerg, die das Tink Tank leitet, das in einer alten Tabakfabrik in Heidelberg liegt. „Wir hatten das Glück, dass das Gebäude schon in Büroräume umgebaut war, als wir eingezogen sind“, erzählt sie. Auch sie sieht ganz klare Vorteile daran, ein altes Gebäude in einen Coworking-Space umzuwandeln. „Alte Gebäude haben einen ganz besonderen Charme und ein tolles Innenklima. Außerdem sind sie oft zentral gelegen, was ein großer Vorteil für die Nutzer ist.“ Das Gebäude, in dem sich das Tink Tank befindet, steht unter Denkmalschutz. „Deswegen müssen Ding wie eine Klimaanlage oder Außenverschattung über die Heidelberger Stadt genehmigt werden. Solche Umbauten müssen wir dann teilweise anders lösen. Man muss manchmal auch ein bisschen kreativ werden.“
Gebäude mit Geschichte
Kreativ wurden auch die Gründerinnen der NEUEN DENKEREI in Kassel. Sie befindet sich in einer alten Druckerei der Stadtzeitung. Neben dieser und noch einer anderen Druckerei befand sich zuletzt ein Industrie-Fotostudio in dem Gebäude. „Das Schöne an dem Gebäude ist, dass es in Kassels Innenstadt ganz viel an Geschichte hat“, erzählt Julia Heimeier. Da früher die Druckerpressen in dem Raum standen, hat er eine besondere Deckenstruktur – hohe Pfeiler und Stahlstreben an der Decke verleihen ihm eine besondere Charakteristik. „Wir haben unseren Raum über Ebay Kleinanzeigen gefunden“, beschreibt Julia. „Der Vermieter hat uns bei der Renovierung freie Hand gelassen, allerdings mussten wir diese selber zahlen. Wir haben dann zum Beispiel eine alte Dunkelkammer raus gerissen und eine Küche eingebaut.“ Julia sieht sowohl Vor- als auch Nachteile im Gegensatz zu einem neuen Gebäude. „In neuen Gebäuden wird natürlich viel mehr an Akustik gedacht und auch die Heizthematik ist eine andere. Bei uns sind die Heizkosten relativ hoch, vor allem wegen der hohen Decken. Dafür haben wir eine relativ konstante Temperatur im Sommer.“ Von besonderer Kreativität zeugen die Möbel in der NEUEN DENKEREI. Ein Student des Studiengangs Produktdesign der Uni Kassel hat sie extra für den Coworking-Space entworfen. „Wir haben gesagt, wenn wir schon so einen tollen Raum haben, wollen wir keine Möbel von der Stange haben“, sagt Julia. „Wir wollten etwas Selbstgebautes, das mit Köpfchen gemacht ist. Die Möbel sind ganz toll geworden, sie sind direkt für diesen Raum gebaut worden. Das macht auch unseren Stil aus.“
Perfekt unperfekt
Ebenfalls in Eigenregie wurde das Krämerloft saniert. Es liegt in einem alten Haus in Erfurt, das um 1900 herum gebaut wurde und seit der Wende leer stand. Doch auch, wenn der Umbau viel Arbeit war, findet Betreiberin Nicole Sennewald, dass es sich gelohnt hat. „Die Nutzer von Coworking-Spaces sind oftmals Kreative und Innovative Player. Sie lieben Gebäude mit Charme. Diese alten Gebäude haben sehr viel Charme zu bieten, wenn man diesen bei der Sanierung eben nicht zerstört, sondern versucht, zu bewahren. Sie erzählen Geschichte und sind einfach perfekt unperfekt.“ Wer den Charme eines alten Gebäudes komplett ausnutzen will, muss aber auch Abstriche machen. „Wenn man alte Fenster, Türen und Dielen erhält, muss man auch damit leben, dass es knarrt und quietscht und auch irgendwo mal reinzieht. Das ist aber auch eine Frage des Budgets. Ich kann ja auch neue Fenster und Türen im Vintage-Look in das alte Gebäude einbauen.“
Alt und neu treffen aufeinander
Letztendlich bedeutet die Sanierung eines alten Gebäudes genau wie ein Neubau Kosten und vor allem Arbeit. „Alte Gebäude bedeuten oft Kompromisse“, merkt Nicole Sennewald an. „Der Weg, den wir gegangen sind, indem wir alles selbst saniert und renoviert haben, den scheuen ganz sicher viele aufgrund des Aufwands. Das muss man schon wirklich mögen und auch können.“ Trotzdem wünscht sie sich, dass mehr alte Gebäude erhalten bleiben und saniert werden, anstatt sie abzureißen und neu zu bauen. „Das wäre auch aus ökologischer Sicht sehr sinnvoll“, betont die Coworking-Space Betreiberin. Auch Julia Heimeier findet, dass das Konzept von Coworking-Spaces in alten Gebäuden Zukunft haben sollte. „Ich finde diesen Zusammenhang ganz spannend, dass alte Gebäude auf ein innovatives Konzept treffen“, erzählt sie. „Ich bin mir sicher, dass das Konzept weitere Wellen schlagen kann und wird. Das Thema Coworking ist gerade jetzt nach der Krise ein noch aktuelleres, weil die Leute merken, dass Homeoffice super ist, aber nicht immer die richtigen Voraussetzungen bietet. Daher glaube ich, dass das Thema Coworking ganz stark kommt und alte Gebäude bieten einen idealen Ort dafür.“