Dr. Harald Brock, bis Anfang 2019 Direktor innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe, hat den ersten Coworking-Space im Banken-Umfeld in Deutschland implementiert. Bereits 2016 lagen die ersten Pläne auf dem Tisch, eröffnet hat die Werkbank Heinsberg im Sommer 2017. Heute ist Harald Brock Geschäftsführer eines Fintechs und Mitglied des Aufsichtsrats der cowork AG.

coworking.jetzt: Herr Dr. Brock, als Sie angefangen haben, die Werkbank in Heinsberg zu planen und umzusetzen, war das Thema Coworking in Deutschland noch relativ unbedeutend. Was hat den Ausschlag gegeben, nicht nur einfach einen Coworking-Space zu eröffnen, sondern gleich einen im Banken-Umfeld, das ja besondere Anforderungen mit sich bringt?

Beim Aufbau der Werkbank hatten wir gleich mehrere Trigger, die uns dazu bewegten einen Coworking-Space in eine Bank zu bauen.

Dr. Harald BrockZum einen gab es innerhalb des Bankgebäudes interessante Flächen, die aufgrund von Konsolidierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen frei wurden. Diese Ausgangsbedingung dürfte derzeit in vielen Instituten gegeben sein. Viele Arbeitsplätze verlagern sich aufgrund der Digitalisierung in der Kreditwirtschaft.  

Zum anderen befinden sich Banken gerade in einem drastischen Veränderungsprozess. Kreditinstitute müssen offener, innovativer und wieder gesellschaftlich relevanter werden. Hiermit einhergehend müssen Bankmitarbeiter natürlich auch immer agiler und abteilungsübergreifender arbeiten, um im Wettbewerb nicht abgehängt zu werden.

Ein Coworking-Space bietet nach meiner festen Überzeugung viele Ansatzpunkte, um die aktuellen internen Herausforderungen einer Bank positiv zu gestalten und gleichzeitig noch positive wirtschaftsfördernde Impulse in das Geschäftsgebiet der Bank zu senden.

… wobei sich diese wirtschaftsfördernden Impulse ja nicht nur auf Seiten der Bank zeigen dürften, oder?

Natürlich nicht. Eine Bank, die einen Space errichtet, möchte bewusst positive Impulse nach außen in die Wirtschaft senden. Dabei beschränkt man sich als Coworking-Betreiber ausdrücklich nicht nur auf die eigenen Bankkunden. Vielmehr steht die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft im Fokus.  

Die positiven wirtschaftsfördernden Impulse artikulieren sich aus meiner Sicht insbesondere durch Wissensspillovers, durch die Reduktion des unternehmerischen Risikos für junge Unternehmer und durch positive Stimmungen bzw. Impulse, wie Veränderungsbereitschaft, Gründergeist und unternehmerischen Mut. Ein gut gemachter Coworking-Space ist somit ein richtiges Pfund für die Wirtschaft und Gesellschaft.  

Schauen wir zunächst auf das Thema Wissensübertragung…

In einem Coworking-Space benötigt man eine lebendige Community, die Gründer, High Potentials und Besucher gleichermaßen begeistert und anzieht. Der Plattform- und konsequente Vernetzungsgedanke zwischen unterschiedlichen Akteuren unterscheidet Coworking-Spaces von Gründerzentren, Technologieparks oder Business Centern, die ja in Deutschland bereits seit Jahren wertvolle wirtschaftsfördernde Aufgaben übernehmen. In einem Space geht es stärker um den bewussten Austausch, um die gemeinsame Ideenentwicklung, um die gemeinsame Lösung von Herausforderungen. Im Idealfall entsteht durch einen Coworking Space eine aktive und selbstorganisierte (Gründer-)Szene mit interessanten Netzwerken, MeetUps und Events etc., die eng mit dem Kreditinstitut verknüpft sind.

Coworking wird häufig in einem Atemzug mit Startups genannt. Welche Rolle spielt der Sharing-Gedanke für junge Unternehmen?

Egal ob sich ein Unternehmen in der Seed-, Startup- oder Wachstumsphase befindet, das Geld ist meist knapp und das Risiko ist hoch. In den letzten Jahren hemmen die stetig steigenden Mietkosten fast überall in Deutschland den von der Wirtschaft und Politik gewollten Gründergeist. Mit ihrer Flexibilität (kurze Mietlaufzeiten), den relativ günstigen Mietzinsen, einer ausgezeichneten Infrastruktur und der Sharing Mentalität sind Coworking-Spaces ein bedeutendes Instrument der modernen Wirtschaftsförderung. Läuft es gut wird die Zahl der Arbeitsplätze hochskaliert. Läuft es schlechter, werden die Plätze reduziert. Das Bindungs- und Investitionsrisiko von Räumlichkeiten und deren Ausstattung wird somit durch einen Space reduziert. Natürlich können auch etablierte Unternehmen die Räumlichkeiten flexibel nutzen. Derzeit sieht man immer häufiger, dass z. B. Projektteams in Spaces arbeiten – weil es dort die notwendige Infrastruktur und Kreativität gibt, die temporär gebraucht wird. Hierdurch machen sich Kreditinstitute mit ihren Räumen plötzlich relevant für Zielgruppen, die den digitalen und gesellschaftlichen Wandel forcieren – in den Räumen einer Bank. Dieser Ansatz fasziniert mich noch immer als Banker.

Apropos Wandel: Welche Impulse bringen Spaces in die Region?

Coworking-Spaces sind ein geeignetes Mittel, um gesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Nutzen zu vereinen und Menschen zu begeistern – natürlich nur, wenn man es hipp und innovativ macht als Bank. Wenn positiv denkende Menschen an einem Ort zusammenkommen und gemeinsam arbeiten, dann kann dies einiges bewirken. Im großen sieht man solche Effekte zum Beispiel im Silicon Valley. Agilität, Veränderungsbereitschaft und Mut begeistern immer mehr Menschen und setzen etwas in Gang, nämlich Unternehmergeist und neue Denkansätze. Man merkt an jeder Ecke, dass etwas in Bewegung ist. Im kleinen, das Regional, kann ein einziger Coworking-Space ähnliches bewirken. Man schafft somit einen Nährboden, der in allen Regionen Deutschlands benötigt wird.

Konkret: welche Erfahrungen konnten Sie in Heinsberg machen?

Die Heinsberger Werkbank erbringt den Beweis, dass Coworking in Kleinstädten und im ländlichen Raum genauso sinnvoll umsetzbar ist, wie in Großstädten. Jedes Institut hat somit die Möglichkeit zu handeln. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass wir noch sehr viele Coworking-Spaces in Banken und Sparkassen sehen werden. Wenn man genauer hinschaut sind Kreditinstitute prädestiniert.

Konkret konnte ich in Heinsberg sehen, dass die Nachfrage nach Teambüros und Besprechungsräumen sehr groß ist. Nach nur kurzer Zeit waren wir ausgebucht. D. h. es gibt Nachfrage, die bedient werden will. Zudem waren wir in Heinsberg immer wieder begeistert wie gerne Besucher zu Veranstaltungen gekommen sind. Dabei standen häufig innovative Themen im Fokus – das Spektrum reichte hier von der Digitalkunst bis zur Blockchain-Veranstaltung. Mehrfach hatten wir auch hochkarätige Politiker, wie den Wirtschaftsminister, zu Gast. Die Politik hat großes Interesse daran, dass in unserer dezentralen, durch den Mittelstand geprägten Wirtschaftsstruktur, Orte entstehen, die den Wandel flächendeckend unterstützen.

Am meisten hat es mich allerdings gefreut wenn Meetups ins Leben gerufen wurden. Sie schaffen durch Regelmäßigkeit eine gewisse Nachhaltigkeit zu unterschiedlichen Themen und bilden Communitys, die aus interessierten bestehen.

Bei allem Positiven muss man sich allerdings darüber im klaren sein, dass der Betrieb eines Coworking-Space ein hohes Maß an Expertise und Wissen benötigt. Ich hatte dieses Wissen, da ich mich seit vielen Jahren intensiv mit der Gründerszene beschäftige und selbst am Gründerzentrum der RWTH als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet habe.

Bei Banken denke ich an definierte Prozesse, kaum vorhandene Agilität,  feste Strukturen. Das klingt nicht unbedingt nach “Coworking-Space” …

Das stimmt grundsätzlich. Banken sind darauf getrimmt keine Fehler zu machen: Stichwort Regulatorik und strenge Revisionsprozesse. Das hemmt die Agilität der Mitarbeiter total.

Gleichzeitig wird es in der modernen Bankenwelt immer wichtiger schneller zu werden. Viele Vorstände haben dies schon verstanden, die übrigen werden in naher Zukunft folgen müssen. Kreativ zu denken und auszubrechen aus etablierten trägen Prozessen wird immer wichtiger, denn 08/15 Bankprozesse bekommt man mittlerweile an jeder Ecke. Kreditinstitute müssen neue Kundenerlebnisse schaffen, die begeistern.

Auch ihren Mitarbeitern müssen Banken Räume schaffen, wo sie arbeiten können wie ein Startup mit agilen Arbeitsweisen und moderner Infrastruktur. Dies gilt in besonderem Maße für Regionalbanken. Sie müssen Kunden und Nichtkunden mehr bieten als eine Internetbank, um ihre Daseinsberechtigung zu behalten. Zudem müssen sie auch aus Recruitingsicht immer offener werden für Neues, um gute Mitarbeiter zu bekommen und zu halten. Ein starres Abteilungs-, Silo- und Hierarchiedenken ist nicht mehr zeitgemäß.

D.h. starre und schlechte Prozesse müssen auf dem Prüfstand. Auch das langweilige Image einer Bank muss sich verändern. Ein Coworking-Space schafft den perfekten Nährboden für solche Veränderungsprozesse. Sei es mit Blick auf die Bank selbst (innerer Veränderungsprozess) oder mit Blick auf das Geschäftsgebiet (äußerer Veränderungsprozess).

Lassen Sie uns nochmal konkret werden: Mit welchen Herausforderungen müssen Banken bei der Umsetzung eines Coworking-Spaces rechnen und wie lassen sich Hemmnisse bewältigen?

Kreditinstitute benötigen verantwortliche Personen mit Affinität und Expertise im Bereich Coworking, Startups und NewWork, die imstande sind, einen Space aufzubauen und zu betreiben. In der Aufbauphase kommt hinzu, dass man sich mit Technik- und Innenarchitekturfragen beschäftigen muss. Diese Menschen benötigen zudem ein starkes Rückrat, ein gewisses Standing und die Rückendeckung des Vorstandes. Gleichzeitig müssen sie Relationship Manager sein und unterschiedliche Menschen vernetzen, vom Jungunternehmer, über den Banker, bis zum Bürgermeister. Es müssen neue innovative Veranstaltungsformate ins Leben gerufen und etabliert werden, wie z. B. Meetups, Barcamps oder Hackathons. Denn ein Coworking-Space lebt von der Community, d. h. den Menschen, die einen Space besuchen, dort arbeiten und ihr Wissen einbringen. Ohne diese neuen Formate ist ein Space nichts anderes als ein piefiger Bürokomplex, der keine Strahlkraft und Veränderung entfalten kann.

An dieser kurzen Beschreibung lässt sich erkennen, dass nur die wenigsten Institute den Weg zum Coworking-Space alleine gehen können, weil schlicht und einfach Mitarbeiter fehlen bzw. Zeit haben all die oben genannten Dinge aufzubauen und nachhaltig zu etablieren. Ich selbst habe in Heinsberg erlebt, wie viel Arbeit ein Coworking-Space in Planung, Umsetzung und im Betrieb verursacht und wie vielfältig bzw. komplex das Anforderungsprofil ist. Der initiale Aufbau der geforderten Kompetenzen nimmt noch mal unnötige Zeit in Anspruch. Aus meiner Sicht sind Kreditinstitute gut beraten, wenn sie daher Profis mit ins Boot holen, die sich mit dem Aufbau und Betrieb eines Coworking-Spaces auskennen und die Effektivität und Effizient steigern. Banken und Kreditinstitute können sich dann voll und ganz auf ihre stärken Konzentrieren, ihre Kontakte und Ressourcen einbringen und vom Imagegewinn profitieren.

 

Foto: Werkbank Heinsberg/Frank Bärmann