Tobias Kollewe ist Präsident des Bundesverband Coworking Spaces Deutschland e. V. und Gründer der WORQS-Gruppe. In unserem Jahresinterview wagt er einen Ausblick auf 2023 und gibt Einblick in seine Erwartungen an das kommende Coworkingjahr 2023.
Tobias, wie lautet Dein Fazit zum Coworkingjahr 2022?
Im vergangenen Jahr hat sich gezeigt, dass sich die Konzepte und Spaces in der gesamten Branche weiter professionalisiert haben. Coworking ist spätestens im letzten Jahr aus der „Nerd-Nische“ herausgekommen. Während der Pandemie hat sich gezeigt, wie vielfältig die Nutzendimension ist und wie stark die Branche die Bedürfnisse aller möglichen Stakeholder befriedigen kann – Nutzer, Arbeitgeber, Kommunen etc.
Ich finde es schon sehr beeindruckend, wie gut die Branche mit der Pandemie umgegangen ist. Und genauso beeindruckend finde ich die Vielfalt der Spaces im urbanen, suburbanen und ländlichen Raum.
Mein persönliches Highlight war natürlich die #zukunftcoworking. Der Kongress hat als Jahresevent der Branche sehr viel Spaß gemacht. Und gerade Wissenstransfer und Austausch habe ich als überaus positiv erlebt. Da freue ich mich auf den nächsten Termin im Oktober 2023!
Wie wird Deiner Meinung nach das kommende Jahr aussehen? Welche Entwicklungen sind die wichtigsten in 2023?
Coworking-technisch werden wir die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre fortsetzen. Ich gehe davon aus, dass wir am Beginn einer Konsolidierungsphase der Branche stehen. Wir selbst haben zu Beginn des Jahres unsere Kooperation mit WorkInn gestartet und die Anzahl unserer Standorte verdoppelt. Vermutlich werden sich einige Marktteilnehmer über solche Themen Gedanken machen. Das ist auch in vielen Gesprächen, die ich in der Branche führe, immer mal wieder ein Thema.
Auf der Nutzerseite wird 2023 das Jahr der Unternehmen in Coworking Spaces. Viele große Unternehmen haben die vergangenen beiden Jahre als Testballon genutzt: Wie funktioniert Coworking? Wie lässt sich Coworking in mein HR-Konzept integrieren? Welche Auswirkung hat das auf Unternehmenskultur und Effizienz in Projekten? Die meisten Tests sind erfolgreich verlaufen, sodass diese jetzt in die Realisierungsphase überführt werden können. Exemplarisch möchte ich die Projekte der DATEV und der Deutschen Bahn (everyworks) nennen. In der Konsequenz heißt das, dass es eine noch stärkere Nachfrage geben wird. Vielleicht nicht im teilweise schon übersättigten Markt in den Metropolen. Aber sicherlich im suburbanen Raum, in Pendlerstädten etc. Und dort insbesondere von mittelständischen und großen Unternehmen.
Vor welchen Aufgaben steht die Branche?
Drei Themen sollte die Branche aus meiner Sicht im kommenden Jahr angehen:
Die Professionalisierung ist weiterhin ein wichtiges Thema. Je mehr sich institutionelle Nutzer für Coworking Spaces interessieren, desto stärker steigen auch die Anforderungen: Rechtliche Anforderungen, Qualitätsmanagement, Service. Das sind die Knackpunkte, bei denen die Anbieter den Nachfragern noch weiter entgegenkommen müssen – da müssen beide Seiten voneinander lernen.
Das zweite und vermutlich wichtigste Arbeitspaket der Branche werden Preisanpassungen sein. Und das meine ich gar nicht mal unter dem Druck gestiegener Energiekosten oder allgemeiner Inflation. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie und warum manche Coworking Spaces feste Arbeitsplätze für um die einhundert Euro pro Monat inklusive aller Nebenkosten anbieten (können). Interne, rechnerische Arbeitsplatzkosten belaufen sich bei Unternehmen auf hohe drei- bis niedrige vierstellige Kosten. Für Spaces kann die Rechnung mit einem Flatrate-Angebot von vielleicht 100 oder 150 Euro pro Monat und Schreibtisch nicht dauerhaft aufgehen.
Ich sehe da im Übrigen auch kein Akzeptanzproblem bei gewerblichen Nutzern oder Unternehmen. Ich denke, die Branche muss sich da einfach mal mehr trauen!
Und wir müssen uns die Frage stellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Coworking im ländlichen Raum funktionieren kann. Die Nachfragesituation ist dort eine ganz andere, als im suburbanen Raum und in den Städten. Um wirtschaftlich langfristig auch außerhalb von Förderkulissen bestehen zu können, müssen sich Coworking Spaces im ländlichen Raum als Impulsgeber und Ankerpunkt verstehen. Zum Beispiel als neues Dorfzentrum, kombiniert mit Komplementärangeboten wie Dorfladen, Café, Bürgermeisteramt oder Veranstaltungsraum.
Wie sieht Dein Coworking-Trend der nächsten Jahre aus? Worauf freust Du Dich?
Ich freue mich auf ein wesentlich dichteres Netz an Spaces in ganz Deutschland. Da gibt es momentan noch viel zu viele weiße Flecken, gerade im ländlichen Raum. Ich finde, hier hat die Politik in den vergangenen Jahren schon tolle Weichen gestellt, auch wenn man natürlich immer sagen kann: Da muss noch mehr gehen …
Ich betrachte das aber als Prozess, der einfach seine Zeit benötigt. Und da sind wir auf einem guten Weg. Auch wenn da noch mehr gehen muss. 😉
Im übrigen betrachte ich Coworking nicht als „Trend“. Die Branche hat einen belegten Anteil am Büroflächenmarkt. Und der wird in den kommenden Jahren stetig steigen.
Wie blickst Du persönlich auf das Jahr 2023?
Ganz persönlich freue ich mich auf ein weitgehend Corona-freies Jahr! Ich denke (und hoffe), dass wir das Schlimmste überstanden haben. Für mich heißt das vor allem: Mehr Reisen, mehr Coworking Spaces besuchen, mehr Menschen treffen. Da freue ich mich sehr drauf!