Im November war Prof. Dr. Axel Minten, Vizepräsident des BVCS, Teil der Coworking Europe. Dabei war er nicht nur selbst Teil einer Diskussion, sondern besuchte auch verschiedene andere Sessions – und nahm einige Learnings zu den Perspektiven des Coworkings mit.
„Ich muss sagen, dass ich begeistert war, wie verbreitet und groß Coworking in manchen anderen Ländern ist“, beginnt Axel seine Erzählung. Dazu zählt er unter anderem Portugal, Großbritannien, Spanien und Israel auf. Über 300 Besucher kamen auf der Coworking Europe zusammen, um sich über das aktuelle und künftige Coworking-Geschehen in Europa auszutauschen. Dabei waren nicht nur Betreiber anwesend, sondern es gab auch verschiedene Sessions zum Umgang mit Technik, zu künstlicher Intelligenz, zu Zugangssystemen und Security sowie zu Brand Building. Auch Beiträge zu Marketing und Vermarktung kamen nicht zu kurz. „Da war für jeden etwas dabei, der Infos haben wollte“, so Axel.
Coworking-Markt in Europa
Zunächst gab es allgemeine Impulse zur aktuellen Marktsituation. „Sehr bezeichnend fand ich die Quote ‚Cautious Opportunities‘, also ‚vorsichtige Gelegenheiten‘ oder ‚zurückhaltende Gelegenheiten‘. Aus dieser Perspektive standen die Potenziale im Vordergrund.“ Bei der vorgestellten Marktanalyse kam heraus, dass die Nachfrage nach Flex Offices sogar das Angebot übersteigt. „Dabei wurde sehr anschaulich aufgezeigt, wo noch Hürden sind und wieso es nicht so einfach ist, flexible Flächen in jedem Raum zu schaffen.“ Das bezieht sich insbesondere auf Immobilien, die nicht von vorneherein als Büroflächen ausgelegt sind – wie Ladenlokale, Fabrikhallen oder sogar Bauernhöfe.
Auch weniger besiedelte Flächen werden beliebter für Coworking Spaces. Trotzdem sind immer noch klassische Büros in der Mehrzahl, worauf sich die zu Anfang genannte Zurückhaltung bezieht. „Nun stellt sich die Frage, ob der Sektor bieten kann, was der Markt verlangt“, so Axel. „Würden 10 % der klassischen Büroflächen zu Flex Offices umgewandelt werden, würde der Flex Markt in ganz Europa um über 108 % ansteigen.“ Das zeigen die aktuellen Perspektiven aus Europa. Viele Immobilien sind jedoch dem Anspruch an Flex Offices nicht gewachsen. „Der Bedarf ist über dem Angebot, weil viele Arbeitgeber gerade umdenken“, erklärt Axel. „Und das liegt unter anderem daran, dass europaweit viele junge Leute gerade auf den Arbeitsmarkt kommen, die top Arbeitsbedingungen wollen. Und dazu gehört auch, dass sie nicht jeden Tag weit bis ins firmeneigene Büro pendeln müssen.“ Daher kommen zu den Hauptargumenten Flexibilität, Skalierbarkeit und Zeitersparnis, die noch vor drei Jahren Hauptgründe für Flex Offices waren, inzwischen unter anderem auch Arbeitgeberattraktivität, Gesundheit und Nachhaltigkeit durch eine verbesserte Mobilität hinzu.
Coworking und Technik
Nach den großen Themen aus der Branche an sich gab es auf der Coworking Europe viele unterschiedliche Sessions zu diversen Themen. Eines davon drehte sich um Coworking und Technik. „Die Technik muss dem Menschen dienen“, war hier eines der Learnings, die Axel mitnehmen konnte. „Die Technik ist für alles da, aber sie muss vor allem zum Kunden hin gedacht werden“, erklärt er den Punkt. „Der Kunde muss top Bedingungen in den Bereichen Security, Data Security und Datenschutz vorfinden.“ Doch nicht nur das: Auch die sonstige Technik sollte den Arbeitsbedingungen und dem, was es zum produktiven Arbeiten braucht, angepasst sein. Dabei sollten Betreiber zum Beispiel auf die Druckersoftware, Schließsysteme oder Dinge wie Lichtfarben und Möglichkeiten zur Dimmung achten.
Doch Technik kann nicht nur im Coworking Space umgesetzt werden, sondern auch darüber hinaus – um Coworking ganz anderer Art möglich zu machen. „Hier wurde sich die Frage gestellt: Muss ein Space immer physisch sein?“, steigt Axel ins Thema ein. Etabliert sind inzwischen bereits Coworking-Live-Streams auf Plattformen wie Twitch oder YouTube, auf denen der Streamer in Arbeitspausen mit den Leuten im Chat agiert. Doch vorstellbar sind noch ganz andere Dinge. „Hier kommen Perspektiven wie augmented reality, also erweiterte Realität, und Metaverse ins Spiel. Es gibt Brillen, die man aufsetzen kann, mit denen man dann in einen virtuellen Space gehen kann. Dort trifft man Kollegen. Es ist dann wie ein physisches Treffen, nur eben, dass jeder zu Hause ist und niemand Fahrtwege hat.“ Im Metaverse ist es ähnlich. „Da hat jeder seinen Avatar und wenn man bedenkt, dass schon jetzt Modelabels damit beschäftigt sind, für diese besonders schöne Kleidung zu designen, dann stellt sich schnell die Frage: Wollen wir uns dann nicht auch dort treffen?“
Die große Resignationswelle
Axel selbst war beim Thema „Can Coworking provide with part of the remedy to the great resignation wave?“, also „Kann Coworking einen Teil der Lösung für die große Resignationswelle bieten?“ Teil der Diskussion. Und er findet einen klaren Schluss: „Coworking könnte eine riesige Rolle spielen, wenn Arbeitgeber erkennen, dass sie damit ihre Attraktivität steigern können und indem Corporates dort die Zukunft sehen.“ Dabei müssen Coworking Spaces bestimmte Aspekte erfüllen. „Es kann große Gemeinschaftsflächen geben, aber es braucht auch Konzentrations- und Rückzugsmöglichkeiten. Denn wir können den Firmen nicht sagen, sie sollen die Leute ins Coworking schicken, wenn da alles „noch schlimmer“ ist als im eigenen Großraumbüro.“ Es ist also wichtig, verschiedene Zonen zu schaffen.
Die Wichtigkeit von Diversity
Die Coworking Europe hat bewiesen: Es gibt auch zahlreiche Dienstleistungen und Produkte, die im Coworking-Bereich eine große Rolle spielen. Dazu gehören zum Beispiel Marketing-Experten, Brand-Manager, Druckersoftware, Türschließsysteme, Raumbuchungssysteme, Vermittlungsportale oder generelle Software. Insbesondere das Thema Brand-Identity scheint dabei aber wichtiger denn je. „Es gibt das sogenannte Brand Identity Mapping“, erklärt Axel. „Dabei muss man sich als Betreiber eines Coworking Spaces verschiedene Fragen stellen: Was macht mich aus als Brand? Wofür stehe ich? Was habe ich für Einzigartigkeits-Elemente? Das können zum Beispiel ein spezieller Fokus auf Gesundheit, Nachhaltigkeit, Corporates oder Workation sein. Was das angeht, ist Großbritannien ein Role Model in der Diversity, aber auch Israel und Portugal haben da eine hohe Dichte.“ Am Anfang stehen immer Brand und Core Content. „Danach ist es wichtig, Awareness und Discovery zu schaffen. Das heißt, ich muss meiner Zielgruppe bewusst machen, dass es mich gibt. Und dann muss ich ihr Möglichkeiten geben, das Ganze zu erkunden.“
Ein Beispiel für ein spezifisches und dadurch auch diverses Coworking-Konzept ist das bereits angesprochene Workation-Angebot. Es gibt bereits Länder mit hoher Dichte an Workation-Möglichkeiten. „Während hier in Deutschland immer noch eher kleine Pensionen oder vielleicht mal ein Hotel Coworking anbieten, sind sie vor allem in den südlicheren Ländern sehr viel weiter. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass es dort einfach viel wärmer ist als hier und man diese Länder eher mit Urlaub verbindet“, denkt Axel.
Auf die Frage hin, was er denn als wichtigste Learnings von der Coworking Europe mitgenommen hat, antwortet er: „Die Spaces werden sich weiter diversifizieren und mehr auf die Corporates eingehen. Die Freelancer sind inzwischen versorgt. Jetzt gilt es, die großen Firmen zu sich zu holen.“